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Gesetzgebung gegen "Retourenvernichtung"

Der Bundestag beschließt die Novelle des Kreislaufwirtschaftsgesetzes ab und Medien nehmen Bezug auf ein Verbot der Retourenvernichtung [0]. Was ist davon zu halten? Eine Einordnung der Forschungsgruppe Retourenmanagement.


Im vergangenen Jahr hat die Forschungsgruppe Retourenmanagement im Rahmen des sogenannten "Retourentachos" Daten zum Retourenmanagement im deutschen E-Commerce erhoben und veröffentlicht. Ein Teilaspekt dieser Studie sind die verschiedenen Verwertungskanäle für zurückgeschickte Waren.

Ein Ergebnis der Studie war, dass etwa jeder achte (12,1 %) im E-Commerce bestellte Artikel retourniert wird, wovon am Ende circa (3,9 %) der Entsorgung zugeführt werden. Das heißt, bezogen auf die Bestellungen liegt der Anteil der entsorgten Artikel im Promillebereich (ca. 5 Promille). Anders ausgedrückt: Von 100.000 bestellten Artikeln werden schätzungsweise etwa 500 Artikel entsorgt. Diese Betrachtung zeigt ganz klar: Die Entsorgung ist im E-Commerce die Ausnahme, nicht die Regel.

Trotz des geringen relativen Entsorgungsanteils ist eine Auseinandersetzung mit den entsorgten Retouren angebracht, da im E-Commerce mittlerweile signifikante Mengen abgesetzt werden. In absoluten Zahlen schätzen wir die entsorgten Rücksendungen konservativ auf 20 Mio. Artikel. Gleichwohl ist festzuhalten, dass sich von den 20 Mio. entsorgten Artikeln beispielsweise nur rund 7,5 Mio. Artikel in einem Zustand befinden, dass diese für eine Weiterverwendung als Spende in Betracht kommen.

Unabhängig davon, ob man das Problem als "klein" oder "groß" erachtet, widerspricht jeder einzelne unnötig entsorgte Artikel dem nachhaltigen Umgang mit Ressourcen. Es war deshalb nur folgerichtig, dass sich die Politik der Thematik angenommen hat. Am Ende dieses politischen Prozesses steht nun ein Abschnitt in der Novelle des Kreislaufwirtschaftsgesetzes (KrWG), das sich explizit dem Problem der Retourenvernichtung widmet [1,2]. Es sei angemerkt, dass die Novelle des KrWG nicht aufgrund der Retourenproblematik erfolgte, sondern generell notwendig war, um zahlreiche rechtliche Vorgaben der Europäischen Union in nationales Recht zu überführen. Bevor eine Einschätzung des deutschen Gesetzestextes erfolgt, soll jedoch ein Blick über nationalen Tellerrand erfolgen.

Vorbild Frankreich?

Ein Vergleich mit Frankreich zeigt, dass die deutsche Politik keineswegs als Vorreiter gelten kann. Bereits im Februar 2020 hat die französische Regierung diverse europarechtliche Vorgaben in nationales Recht überführt. Im Mittelpunkt steht dabei das Gesetz Nr. 2020-105 das zahlreiche Änderungen und Anpassungen in den bestehenden nationalen Rechtsvorschriften vorsieht [3]. Das Gesetz selbst ist 130 Artikel lang, für die Retourenproblematik relevant ist Artikel 35 [4]. Darin steht übersetzt aus dem Französischen:

"Hersteller, Importeure und Vertreiber neuwertiger Non-Food-Produkte, die zum Verkauf bestimmt sind, sind verpflichtet, ihre unverkauften Waren wiederzuverwenden oder zu recyceln, insbesondere durch das Spenden von Gütern des Grundbedarfs an Vereinigungen zur Bekämpfung der Armut und an sonstige sozial- und solidarökonomische Strukturen [...]."

Ein besonderer Fokus wird hierbei auf Kosmetik- und Hygieneprodukte gelegt:

"Hygiene- und Pflegeprodukte, deren Liste per Dekret festgelegt wird, die unverkauft geblieben sind, müssen unbedingt wiederverwendet werden, mit Ausnahme von Produkten, deren Mindesthaltbarkeitsdatum weniger als drei Monate beträgt, und mit Ausnahme von Fällen, in denen nach Kontakt mit den im ersten Absatz genannten Organisationen keine Möglichkeit der Wiederverwendung besteht."

Zu den Sanktionsmechanismen wird notiert:

"Jede Nichteinhaltung der in diesem Artikel genannten Verpflichtungen zur Handhabung nicht verkaufter neuwertiger Non-Food-Produkte wird mit einer Verwaltungsstrafe von bis zu 3.000 Euro für eine natürliche Person und 15.000 Euro für eine juristische Person geahndet. Gemäß Artikel L. 522-6 des Verbrauchergesetzbuches kann die Entscheidung auf Kosten der sanktionierten Person veröffentlicht werden. [...] Die Bedingungen für die Anwendung dieses Artikels werden per Dekret des Conseil de Etat festgelegt."

Es ist festzuhalten, dass ein manchmal zitiertes angebliches generelles Verbot der "Retourenvernichtung" in Frankreich de facto nicht existiert. Das Gesetz bezieht sich auf neuwertige Waren , die zum Verkauf bestimmt sind. Bei einem entsprechend schlechten Warenzustand, der bei Retouren nicht selten ist, ist die Verkaufsbestimmung obsolet, also eine Entsorgung auch in Frankreich weiter möglich. Darüber hinaus sind die Strafen vergleichsweise gering. Gleichwohl kann in Frankreich eine Veröffentlichung des Gesetzesverstoßes erfolgen. Es dürfte also durchaus abschreckende Wirkung entfalten. Bemerkenswert ist außerdem, dass keine Kontrollmechanismen und Berichtspflichten festgeschrieben sind. Dies wird erst durch nachrangige Verordnungen konkretisiert.

Die neue Rechtslage in Deutschland

Die vom Bundestag beschlossene und noch vom Bundesrat zustimmungspflichtige Novelle des KrWG hat für das Retourenmanagement in Deutschland zwei relevante Stellen: die Paragraphen 23 und 25, in denen einerseits eine sogenannte Obhutspflicht, andererseits eine Berichtspflicht eingeführt wird. Zunächst zur Obhutspflicht. Demnach umfasst die Produktverantwortung künftig zusätzlich:

"[...] eine Obhutspflicht hinsichtlich der vertriebenen Erzeugnisse, insbesondere die Pflicht, beim Vertrieb der Erzeugnisse, auch im Zusammenhang mit deren Rücknahme oder Rückgabe, dafür zu sorgen, dass die Gebrauchstauglichkeit der Erzeugnisse erhalten bleibt und diese nicht zu Abfall werden."

Zur Berichtspflicht ist notiert:

"Zur Festlegung von Anforderungen nach Paragraph 23 wird die Bundesregierung ermächtigt, nach Anhörung der beteiligten Kreise (Paragraph 68) durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen, dass Hersteller oder Vertreiber zur Gewährleistung einer angemessenen Transparenz für bestimmte, unter die Obhutspflicht fallende Erzeugnisse einen Bericht zu erstellen haben, der die Verwendung der Erzeugnisse, insbesondere deren Art, Menge, Verbleib und Entsorgung, sowie die getroffenen und geplanten Maßnahmen zur Umsetzung der Obhutspflicht zum Inhalt hat; es kann auch bestimmt werden, ob und in welcher Weise der Bericht durch Dritte zu überprüfen, der zuständigen Behörde vorzulegen oder in geeigneter Weise zu veröffentlichen ist; die gültige Umwelterklärung einer in das EMAS-Register eingetragenen Organisation erfüllt die Anforderungen an den Bericht, soweit sie die erforderlichen Obhutspflichten adressiert."

In der Begründung des Gesetzes wird außerdem Folgendes angemerkt:

"Der Bericht dient als internes Planungsinstrument. Mit seiner Hilfe sollen die betroffenen Pflichtigen die notwendige Transparenz über die Verwendung der Erzeugnisse - insbesondere über deren Verkauf, Versendung und Rücknahme als Retoure, entstehende Warenüberhänge sowie die weitere Verwendung von Retouren und Überhängen und nachrangige Entsorgung der Waren als Abfall - erhalten. Zugleich kann durch Rechtsverordnung auch festgelegt werden, ob und in welcher Weise der Bericht extern zu überprüfen, der zuständigen Behörde vorzulegen oder in geeigneter Weise zu veröffentlichen ist. [...] Dabei ist darauf zu achten, dass für die betroffenen Unternehmen keine unzumutbaren bürokratischen Belastungen entstehen und dass Unternehmen mit unerheblichen Retouren oder Überhängen von der Transparenzpflicht ausgenommen werden."

Sanktionen beim Verstoß gegen die Vorgaben werden im Gesetz nicht angesprochen. Insgesamt ist die Novelle vor diesem Hintergrund nur ein unkonkreter Rechtsrahmen, aus dem sich selbst noch keine direkten Folgen für den E-Commerce ergeben. Erst nach dem Beifügen der Rechtsverordnungen kann ersichtlich werden, ob die Maßnahmen tatsächlich geeignet sind, die Transparenz zu erhöhen und die Anzahl der entsorgten Artikel zu verringern.

Einschätzung der KrWG-Novelle im Hinblick auf die Verhinderung der "Retourenvernichtung"

Selbst mit effektiven Rechtsverordnungen und einem vorhandenen Kontroll- und Sanktionswillen ist das aktuelle Gesetzeswerk aus zwei Gründen zu kritisieren.

Erstens bietet es Unternehmen Anreize, die Entsorgung zu exportieren, die dann unter deutlich schlechteren rechtlichen Rahmenbedingungen vollzogen werden könnte. So kann die Obhutspflicht vergleichsweise einfach umgangen werden, indem Händler die zu entsorgenden Artikel zunächst ins Ausland an eine Drittfirma weiterverkaufen. Auf dem Papier ist in diesem Szenario keine Entsorgung erfolgt, sie findet über die Drittfirma aber de facto statt.

Um diese Konstellation zu vermeiden, käme als einziges probates Mittel eine erweiterte Obhutspflicht entlang der Supply Chain bis zum Endkunden in Betracht. Ein solcher Ansatz ist jedoch nicht vorgesehen und wäre mit einem angemessenen, verhältnismäßigen Aufwand auch nicht zu kontrollieren.

Zweitens blendet die aktuelle Gesetzgebung ein zentrales Problem der Warenentsorgung im E-Commerce aus: Plattformen und Marktplätze. Unsere bisherigen Untersuchungen zeigen, dass die Entsorgungshäufigkeit mit der Unternehmensgröße abnimmt. Das heißt, kleine Händler entsorgen einen deutlich größeren Anteil der Retouren als große Händler. Gerade kleine Händler verkaufen ihre Waren besonders häufig über Plattformen/Marktplätze, bei denen Händler den kompletten logistischen Prozess an die Plattformbetreiber auslagern.

Obwohl derartige Plattform- bzw. Marktplatzmodelle eine immer größere Rolle im E-Commerce einnehmen, werden diese vom Gesetzgeber weiterhin nicht konsequent in die Verantwortung genommen. Davon macht auch die Novelle des KrWG keine Ausnahme. Das KrWG bezieht sich lediglich auf "Hersteller" und "Vertreiber". Elektronische Marktplätze sind jedoch rechtlich gesehen weder "Hersteller" noch "Vertreiber", sondern agieren als Intermediär bzw. Vermittler. Da in der Gesetzesbegründung bereits formuliert ist, dass "[...] Unternehmen mit unerheblichen Retouren oder Überhängen von der Transparenzpflicht ausgenommen werden" [2], kann davon ausgegangen werden, dass sich für die kleinen Händler auf den Plattformen wenig ändert. Dies gilt insbesondere, weil viele Händler aus dem Ausland agieren und somit einerseits keine praktikable Sanktionierung dieser Vertreiber stattfinden kann und andererseits Händler mit Sitz in Deutschland nicht benachteiligt werden sollen [5]. Den einzig validen Ansatzpunkt stellen somit die Plattformen bzw. Marktplätze dar, die jedoch - wie bereits dargestellt - nicht von der Gesetzgebung erfasst werden.

Retouren sind nur die Spitze des Eisbergs

Darüber hinaus ist festzuhalten, dass die Entsorgung von Retouren nur die Spitze des Eisberges sind. Ein deutlich größeres Problem ergibt sich aus nicht verkauften Überbeständen. Zu dieser Problematik gibt es für Deutschland aktuell keinerlei Daten, die den Gesamtmarkt systematisch erfassen. Die einzigen vorhandenen Datenpunkte stammen aus anekdotischen Berichten und Schätzungen, die sich jedoch aufgrund fehlender Angaben zur Methodik von unabhängiger Stelle nicht überprüfen lassen. Bekannt sind der Forschungsgruppe Retourenmanagement zwei Datenpunkte, die sich gegebenenfalls eignen, die Problemdimension zu umreißen:

  • Die Initiatorin der gemeinnützigen Vermittlungsplattform innatura Frau Dr. Kronen schätzt, "[...] dass von allen in Deutschland jedes Jahr produzierten Konsumgütern Waren im Wert von mindestens sieben Milliarden Euro entsorgt werden. Ein Drittel davon ist einwandfrei verwendbar. Es werden also Produkte im Wert von mehr als zwei Milliarden Euro vernichtet, obwohl sie unversehrt sind" [6]. Nimmt man bei diesen Abschätzungen einen mittleren Warenwert von 5 Euro an, resultiert dies in 2,33 Mrd. Euro / 5 Euro = 467 Millionen entsorgten Konsumgütern.
  • Der Textilbranchenexperte Michael Hauf von der Branchenberatung Hachmeister + Partner schätzt, dass 10 Prozent der im deutschen Modemarkt angebotenen Kleidungsstücke entsorgt werden. Bei 2,3 Mrd. angebotenen Kleidungsstücken entspricht dies 230 Millionen entsorgten Artikeln. Andere Experten gehen dar von einem 20-prozentigen Entsorgungsanteil aus, was 460 Millionen entsorgten Textilien entspräche [7].


Neben diesen nicht verifizierbaren Schätzungen existieren gut belegte Fallberichte über die systematische Vernichtung von unverkauften Warenbeständen bei führenden Plattformen (bspw. Amazon Marketplace [bspw. 8, 9]). Dieses Phänomen ist Plattformen inhärent, da die Händler eine Gebühr pro Lagerplatz und Zeiteinheit entrichten müssen und darüber hinaus ab einer gewissen Lagerdauer signifikante Langzeitgebühren anfallen. Aus diesem Grund wird nach einer gewissen Lagerdauer auch mangels alternativer Lagermöglichkeiten und geringer Kosten die Entsorgung für viele Händler unter den aktuellen Rahmenbedingungen zur wirtschaftlichsten Alternative. Auch für die aus Sicht der Forschungsgruppe deutlich relevanteren Überbestände gelten die bereits beschriebenen Kritikpunkte.

Fazit

Insbesondere die Berichtspflichten haben bei entsprechenden Rechtsverordnungen das Potenzial, etwas mehr Transparenz in eine bisherige vollständige Black-Box zu bringen. Allerdings muss man sich aufgrund der einfachen Umgehungsmöglichkeit bei gleichzeitig eingeschränkten Sanktionsmöglichkeiten im Klaren darüber sein, dass die Wirkung in der Praxis äußerst limitiert sein wird und die zusätzliche Transparenz nur eine Scheinwirklichkeit wiedergibt. Es bleibt zu hoffen, dass ein gut gemeinter politische Vorstoß nicht zu einer Verschlechterung der Situation führt, indem künftig verstärkt eine verdeckte Entsorgung im Ausland stattfindet.

Autor: Björn Asdecker



Quellen:

[0] https://www.faz.net/agenturmeldungen/dpa/kleinere-muellberge-mehr-recycling-so-soll-es-gelingen-16957359.html

[1] https://www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/ Glaeserne_Gesetze/19._Lp/krwg_entwurf/Entwurf/krwg_novelle_refe.pdf

[2] https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/193/1919373.pdf

[3] https://www.legifrance.gouv.fr/loda/id/JORFTEXT000041553759/

[4] https://www.legifrance.gouv.fr/jorf/article_jo/JORFARTI000041553800

[5] https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2020/kw38-de-abfallrahmenrichtlinie-791764

[6] https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/innatura-es-ist-guenstiger-waren-zu-vernichten-als-sie-an-beduerftige-zu-geben-a-1218140.html

[7] https://www.welt.de/wirtschaft/article203216646/Bekleidung-Hunderte-Millionen-Textilien-fabrikneu-vernichtet.html

[8] https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/lueneburg_heide_unterelbe/Winsen-Amazon-verschrottet-containerweise-Neuware,amazon392.html

[9] https://presseportal.zdf.de/pressemitteilung/mitteilung/frontal-21-amazon-vernichtet-massenhaft-retouren-und-neuwertige-produkte/

17.09.2020